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Eine semiotische Annährung an das Bild "Der Endlose Weg" von Gerda Tabor - Pescosta
 

Gerda Tabor - Pescosta ist eine zeitgenössische österreichische Künstlerin.Ihre Arbeiten der vergangenen fünf Jahre sind besonders interessant, weil sie zu Beginn dieser Periode einen Durchbruch in ihrer künstlerischen Entwicklung erfahren hat. Das Hauptthema dieser Zeit war die Erforschung ihres Unterbewußtseins auf der Suche nach ihrem Wesen, ihrem Ursprung. Eine semiotisch - semantische Analyse des ersten Bildes dieser Periode, Der Endlose Weg, ermöglicht das zugrundeliegende existentialistische Thema, welches ihren künstlerischen Durchbruch begründete, begleitete und ihm nachfolgte, zu enthüllen. Die ersten zwei Teile der folgenden Analyse handeln von der Bedeutung der drei Zeichen des Bildes, den zwei Figuren und der umgebenden Struktur. Die Anzahl der Zeichen wurde von der Künstlerin im minimalistischen Sinne rigoros begrenzt, um die Überstimulierung, die im Alltag gewöhnlich ist, zu vermeiden. Die Absätze drei und vier sind den Bedeutungen der Beziehungen der Zeichen miteinandergewidmet.

Beide Figuren können als Symbole betrachtet werden. Die Linke verweist auf die Suche der Menschen nach ihrem Ursprung und ihrem Wesen, die Rechte symbolisiert Schmerz und Leid. Die linke Figur ist nackt und ihre Anatomie ist im Wesentlichen präzise ausgearbeitet. Sie beugt sich nieder und sucht mit dem linken Arm die Verbindung zum Boden. Die Nacktheit und die Verbindung zur Erde können mit der Suche der Menschen nach ihrem Ursprung, ihrem Wesen assoziiert werden. Der Körper der rechten Figur ist nur fragmentarisch ausgearbeitet. Die proportional übergroßen Hände stehen im Vordergrund. Die Figur hält ihre großen Hände in einer Geste des Schmerzes und Leides vors Gesicht. Sie steht frontal zu den Betrachtern des Bildes und erzählt ihnen unvermittelt von ihrem Schmerz. Beide Figuren sind stark abstrahiert hinsichtlich Form und Farbe. Einerseits erhöht der hohe Grad der Abstraktion den ästhetischen Ausdruck der Figuren, andererseits widerspiegelt die Abstraktion das Abwenden von der Körperlichkeit, vom Materialismus und das Hinwenden zum Geistigen, zum Immateriellen. Desweiteren deutet die Zerstörung der Körperlichkeit durch archaische Strukturen an, dass die zwei Figuren nicht als ikonische Zeichen, die reale Objekte repräsentieren verstanden werden können, sondern als Symbole für das Metaphysische.

Als Zeichen betrachtet symbolisiert auch die Struktur, von welcher die zwei Figuren umgeben sind, die Hinwendung zum Unterbewußten, zum Immateriellen. Die Struktur ist ein verschmelzender, wolkenartiger Raum ohne ein perspektivisches Zentrum. Die dreidimensionalen Eindrücke entstehen einerseits durch mehrere einander überlappende transparente und deckende Farbschichten, andererseits durch Chiaroscuro-Kontraste [Hell - Dunkel - Kontraste]. Die Figuren sind nicht von Leere umgeben - Leere im materialistischen Sinne der Dualität von Materie und Leerem Raum - sondern von einer Struktur im impressionistischen Sinne, einem momentanen Querschnitt durch die Bewegung im Raum. Demgemäß definiert sich die Position der Figuren im Raum nicht anhand materialistischer Gegenstände. Die Künstlerin vermittelt ein immaterielles Bewußtsein von Raum. Der Raum des Bildes repräsentiert nur einen Ausschnitt aus dem unbegrenzten räumlichen Kontinuum. Wenn sich die Betrachter des Bildes auf diese Art räumlichen Bewußtseins einlassen, verschmilzt der Raum des Bildes mit dem realen Raum vor dem geistigen Auge der Betrachter. Auch aus einem sigmatischen Gesichtspunkt kann die Struktur als Ausdruck des Subjektiven, des Unterbewußten definiert werden, da die Struktur in einem Prozess geschaffen wird, der auf dem Prinzip des beabsichtigten Zufalls [vergl.: Abstrakter Expressionismus] beruht. Aber nicht nur die einzelnen "Sub-Zeichen", die zwei Figuren und die immaterielle, räumliche Struktur, tragen Informationen sondern auch die Beziehung zwischen diesen Zeichen ist von Bedeutung. Es gibt zwei unterschiedliche Arten der Beziehung zwischen den Figuren und der immateriellen Struktur. Während es keine semantische Verbindung zwischen der rechten Figur und der Struktur gibt, ist die Verbindung zwischen der linken Figur und der Struktur bedeutungsvoll im wahrsten Sinne des Wortes. Sie repräsentiert die Suche der Menschen nach ihrem Ursprung in der Sphäre des Immateriellen, des Unterbewußten. Diese Erkenntnis gründet auf einer syntaktischen Analyse der Form, im Besonderen der Kontur der linken Figur. Großteils ist die linke Figur von ihrer Umgebung scharf abgegrenzt. Nichtsdestotrotz verschmelzen bedeutungsvolle Teile der Figur wie der Kopf und der linke Arm mit der immateriellen Struktur. Desweiteren sind die Figur und ihre Umgebung farblich aufeinander abgestimmt. Während die linke Figur mit der Struktur verbunden ist, die das Unterbewußte widerspiegelt, scheint die rechte Figur weit unabhängiger zu sein. Es gibt keine spezifische Beziehung zwischen der rechten Figur und der Struktur, wenn man in Betracht zieht, daß der Typus dieser Figur immer wieder in den Bildern der Künstlerin auftaucht und dort den Topos des Schmerzes und Leides symbolisiert.

Die Beziehung zwischen den beiden Figuren fasst das Thema des Bildes, die Abwendung vom Schmerz und die Hinwendung zur künstlerischen Erforschung des Unterbewußtseins auf der Suche nach dem Ursprung, dem Wesen, zusammen. Auf den ersten Blick scheint das Zeichen, welches die Suche nach ihrem Wesen in ihrem Unterbewußten repräsentiert, nur wenig gemeinsam zu haben mit dem Zeichen für Leid. Um den Hintergrund dieser Beziehung erhellen zu können, muß der biographische Kontext, das Leben der Künstlerin zu Rate gezogen werden. Durch einen schweren Unfall im Jahre 1995 realisierte Tabor - Pescosta die Wichtigkeit der Erforschung ihres Wesens. Diesem Anliegen entsprechend wendet sich die linke Figur ab vom Symbol für Schmerz und beugt sich nieder zur Erde, welche für die weibliche Psyche, das Unterbewußtsein steht, und beginnt dort ihre Suche. Das Motiv des Beginnens der Suche findet sein Äquivalent im Oeuvre der Künstlerin, denn Der Endlose Weg steht am Anfang einer Serie von Gemälden, die sich wie die Ergebnisse ihrer künstlerischen Erforschung des Unterbewußen lesen lassen. Die dunkle rechte Figur steht für den physischen Schmerz infolge ihres Unfalls sowie für die Vergänglichkeit, welche der Künstlerin ,schmerzhaft' bewusst wurde.

Eine semiotische Analyse des Werkes Der Endlose Weg zeigt, dass Tabor - Pescostas Gemälde der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre sehr persönlich, beinahe intim sind, zumal sie die Erforschung ihres Geistes, ihres Unterbewußtseins widerspiegeln. Dennoch spielen die Betrachter ihrer Werke eine wichtige Rolle in ihren künstlerischen Intentionen. Sie unterstützt die kontemplative Versenkung in ihre Kunstwerke durch den brillianten Einsatz ästhetischer Mittel. Lassen sich die Betrachter auf einen geistigen Dialog mit Tabor - Pescostas Kunstwerken ein, so finden sie eine Plattform zur Diskussion fundamentaler menschlicher Erfahrungen vor.

 
- Text von Dr. Mag. Jürgen Tabor (11.05.2000) -
 
 
     
   
 
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